Im Schaffen von Stephan Velten hat sich früh ein Prinzip bemerkbar gemacht: das Arbeiten in Serien und Werkgruppen. Das Ausloten von Bildthemen erschöpft sich für ihn selten im Einzelbild, es zieht es vor, sein Material in Variationen, in klar strukturierten Sequenzen gedanklicher und malerischer Abläufe zu fassen. Die Vorzüge dieses Verfahrens sind augenfällig: es entstehen durch malerische Ideen zentrierte Bildgruppen innerhalb eines Themenkreises, die spielerische Prinzipien der Atelierarbeit mit der Re-flexion kunstgeschichtlicher Bezugspunkte und den seriellen Wahrnehmungsstrukturen in der modernen Mediengesellschaft verbinden.
Grundlage der ästhetischen Produktion Stephan Veltens ist die Auseinandersetzung mit der menschlichen Figur. Weder autonome Strukturuntersuchungen, noch die Verlockungen der Spaßkultur eines schnellebigen Marktes können ihn bewegen, diese Basis zu verlassen. Was er an Zeiterschei-nungen für wesentlich hält, übersetzt er in sein bildnerisches Wertesystem, das er durch eine solide Ausbildung und langjährige beständige Arbeit erworben hat. Es ermöglicht ihm, Zeitgeist unbeirrt dem Geist unterzuordnen und Bildungen zu erstellen, die ihre Spannung und ihre Vielschichtigkeit aus Aktualität und historischer Dimension gleichermaßen beziehen. Die Kopf-Bilder behaupten eine besondere Stellung innerhalb des Werkes, kristallisiert sich doch in ihnen der Anspruch an das Geistige in der Malerei in doppelter Hinsicht.
Zwischen seiner sechzehnteiligen Arbeit Unbekanntes Gedächtnis von 1990 und den labor-frischen Ergebnissen der Fotoinszenierungen Kopfbemalung und Wandlung liegt ein Entwicklungs-prozeß, der beide Pole im Schaffen des Künstlers beschreibt: das Festhalten des Malers an einem Thema und die Offenheit für sinnvolle Erweiterungen der technischen Handhabung. So steht das vom Ausgangs-objekt angebotene Raster im Siebdruck-Triptychon Gesichtsfelder von 1998 für den bewußten Einsatz der Verfremdung durch Reproduktionstechniken und markiert einen Ansatzpunkt der Erneuerung: Raster und Konturierung fließen als Stilmittel in die Malerei zurück und tragen dort zur Neustrukturieung der Bildoberfläche bei. Konsequent wird dieser Anstoß in den Fotoarbeiten fortgesetzt. Hier verwandelt sich der Maler selbst in das Motiv und erzeugt durch den physischen Einsatz von stofflichen Elementen aus seiner Bildwelt eine groteske Nähe, welche von den optischen und chemischen Systemen der Fotografie wirkungsvoll gebrochen wird.
Die Behandlung des Kopf-Themas bietet dem Maler die Möglichkeit, die gestischen Erfah-rungen seiner Figurenbilder durch Reduktion konzentriert weiterzuentwickeln. Eine Kopfhaltung kann die körperliche Position einer imaginären Figur andeuten und, getragen von Bildstruktur und Farbklima, ihre psychische Verfassung signalisieren. Macht und Deformation können spürbar werden, ohne einen konkreten Aktionsraum anklingen zu lassen, ohne das Getöse einer gewaltigen Staffage. Gerade in ihrer Stille und Anonymität, bisweilen in melancholischer Verschlossenheit oder der Anmutung antiker Ferne sind diese Arbeiten berührend und gegenwärtig, zeugen sie, jede Glätte, jede Eindeutigkeit meidend, von eindringlicher Malkultur. Der Kopf, die Schaltzentrale jeglicher Aktion und vor allem der Erinnerung, wird zur künstlerischen Projektionsfläche existenzieller Fragestellungen.
Der Titel Kopfbilder faßt einen wesentlichen Teil im Gesamtschaffen von Stephan Velten zusammen. Bei genauer Betrachtung der Arbeiten fällt auf, daß er keinesfalls eine rationale, kopflastige Kunstform beschreibt. Er verweist indirekt darauf, wie sehr diese Malerei aus dem Bauche kommt, wie wenig man ihr damit gerecht würde, die in den Bildern ohnehin sichtbar wirkenden Quellen des Unterbewußten hervorzuheben. Die Eigenart des Werkes von Stephan Velten mit seiner konzeptionellen Dichte und Vielschichtigkeit sowie die kontinuierlich entwickelte formale Struktur sind ein Beleg dafür, daß Malerei heute nichts an Leistungsfähigkeit eingebüßt hat. Vorausgesetzt, es gelingt ihr, Wirklichkeit sinnlich zu beschreiben und sich in den Kontext gesellschaftlicher Funktionalität zu begeben, ohne dabei das elementare Eigenleben und jene Autonomie aufzukündigen, die Malerei als komplexes Medium ästhetischer Kommunikation ausmachen.
Andy Kern, 1999